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Inkassokriminalität

Dieser Artikel beschäftigt sich mit unlauteren bzw. kriminellen Methoden des Forderungseinzugs (Inkasso).

Inhaltsverzeichnis

Unlauteres Inkasso und Wirtschaftskriminalität - politisch geduldete Kavaliersdelikte

Das Wort "Inkassobüro" hat in Deutschland einen unheilvollen Klang. Da der typische Verbraucher über die Rechte eines Inkassobüros meistens wenig weiß, werden diesen privaten Dienstleistern oft Kompetenzen angedichtet, die sie tatsächlich gar nicht haben. Zusätzlich fördert jedoch auch die Inkassobranche selbst einen gewissen geheimnisvollen Nimbus, man suggeriert, dass man "schon Mittel und Wege habe", um einen säumigen Schuldner so oder so zur Zahlung zu bringen. Man verschweigt, dass diese geheimnisvollen Zwangsmittel letztendlich auch nur die sind, die der auftraggebende Gläubiger auch selbst ohne Hilfe eines Dienstleisters ergreifen könnte. Prinzipiell kann der Gläubiger ein gerichtliches Mahnverfahren auch selbst einleiten. Abgesehen von der Beantragung des gerichtlichen Mahnverfahrens hat ein Inkassobüro in Deutschland überhaupt keine Sondervollmachten. Der geheimnisvolle Nimbus dieser Dienstleister lässt den Durchschnittverbraucher in dem Glauben, dass ein Inkassobüro quasi behördliche Vollmachten habe, dass es direkt das Konto pfänden oder die Wohnung nach wertvollen Gegenständen durchsuchen dürfe. Dass Inkassobüros eigentlich nur bezahlte Schreibdienstleister sind, die den Auftraggebern die Schreibarbeit der Mahnungen abnehmen, wird gern verschwiegen.

Das Image der Inkassodienstleister in Deutschland ist nicht gerade gut. Das liegt zum Teil in der Natur der Sache, weil der Anlass einer Mahnung i.d.R. unangenehm ist und Geld kostet. Das liegt aber auch in der Tatsache begründet, dass seit einigen Jahren vermehrt unlautere oder auch regelrecht betrügerisch arbeitende Akteure auf den Plan treten. Diese Akteure verstehen es, die Nischen des wachsweichen deutschen Inkassorechts systematisch auszuloten und zu besetzen. Jedes Jahr scheinen die Methoden skrupelloser und ruppiger zu werden, und zunehmend mehr unseriöse Betreiber wollen ein Stück vom Kuchen.

Die eingesetzten unlauteren Methoden sind vielfältig und reichen bis hin zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug.

Überzogene Inkassogebühren, kreative Phantasieposten

Auch bei eigentlich völlig berechtigten Ansprüchen stellen Inkassobüros häufig überzogene Kosten für den Forderungseinzug sowie für merkwürdige Sonderleistungen in Rechnung. Beliebt ist etwa die Abrechnung sogenannter "Kontoführungsgebühren", die eigentlich gerichtlich gar nicht durchsetzbar wären, weil diese Kosten gemäß bekannter Rechtsprechung zu den allgemeinen Kosten eines Inkassobüros zählen, die mit den Gebühren bereits abgedeckt sind. Auch völlig überzogene Inkassogebühren kommen nicht selten vor. Die Gerichte erkennen den Inkassobüros in der Regel Gebühren wie bei einer vergleichbaren einfachen Tätigkeit eines Rechtsanwalts zu. Trotzdem wird wiederholt - leider oft mit Erfolg - beim rechtsunkundigen Verbraucher versucht, überzogene Gebühren anzusetzen, die nicht selten das doppelte des eigentlich zulässigen Rahmens betragen, manchmal auch noch mehr. Die überzogenen Gebühren werden oft auch als Drohmoment benutzt, um zu suggerieren, dass es bei Nichtzahlung dann eben nur noch teurer werde.

Zwar nehmen Inkassobüros für sich in Anspruch, die Forderungen, die ihnen seitens ihrer Mandanten übermittelt wurden, nicht auf Rechtmäßigkeit prüfen zu müssen. Kein Wunder, denn sonst wären sie bei einem Fehlverhalten des Mandanten unter Umständen direkt wegen Beihilfe zum Betrug zu belangen. So aber können sie sich meistens mit "Bestreiten der Kenntnis von der Rechtswidrigkeit" aus der Schlinge ziehen. Wenn aber schon die Inkassobüros den Anspruch so gut wie gar nicht in der Sache prüfen müssen, dann stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundlage für die Veranschlagung dieser oft überzogenen Inkassogebühren. Eine "besonders schwere" rechtliche Tätigkeit kann ja nun hier nicht vorliegen, denn man setzt lediglich die Adressdaten des Schuldners sowie die Rechnungsdaten in ein mit Textbausteinen vorformuliertes Mahnschreiben ein. Eigentlich handelt es sich um schnell und einfach verdientes Geld.

Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass man es jahrzehntelang geschafft hat, die Einführung eines verbindlichen Gebührenrahmens für Inkassobüros zu verhindern. Erst seit dem Herbst 2013 wird die Höhe der erlaubten Inkassokosten gesetzlich gedeckelt auf eine vergleichbare anwaltliche Vergütung nach BRAO. Trotzdem werden nach wie vor Inkassomahnungen mit völlig überzogenen Nebenforderungen beobachtet. Negative Folgen hat das für die betreffenden Büros offensichtlich nicht.

Inkasso für Forderungen aus untergeschobenen Verträgen

Seit einigen Jahren ist es in Deutschland zu einem sehr beliebten Geschäftsmodell geworden, dem Verbraucher nicht existierende Vertragsverhältnisse zu unterstellen, um dann freche, dreiste Mahnungen über Inkassobüros oder Anwälte zustellen zu lassen. Zu diesen Geschäftsmodellen gibt es mehrere bekannte Varianten, dazu zählen insbesondere:

  • Webseiten-Abofallen mit versteckter Preisangabe
  • Telefon-Gewinnspiele
  • Telefonsexfallen über Ortsnetznummern
  • Unbestellte, untergeschobene Zeitschriftenabos

Die Methodik ist im Grunde genommen immer gleich. Man verschleiert die Tatsache, dass eine Kostenpflicht besteht, bzw. unterstellt dem Verbraucher ein nicht bestehendes Vertragsverhältnis. Der Verbraucher ist in der Regel nicht über die Informationspflichten bei Fernabsatzverträgen bzw. über die Feinheiten des Widerrufsrechts informiert, er lässt sich von den Drohungen in den Mahnschreiben bluffen und weiß nicht, dass die verzerrenden Darstellungen über Rechtstatbestände in den Mahnungen mit der geltenden Rechtslage meist nicht das geringste zu tun haben. Die beteiligten Inkassobüros und Anwälte sind hierbei Steigbügelhalter obskurer Abzockerbanden und helfen aktiv mit bei der Gestaltung der Betrugsmodelle, indem sie die weit unterlegene Rechtskenntnis des typischen Verbrauchers ausnutzen und eine völlig unverhältnismässige Drohkulisse aufbauen. Es ist gängige Praxis, in den Mahnschreiben die rechtlichen Fakten bezüglich der Informationspflichten und zum Widerrufsrecht etc. völlig falsch darzustellen und dem Verbraucher zu suggerieren, man habe hier einen rechtsgültigen Vertrag, aus dem er leider nicht mehr herauskomme, und der zu erfüllen sei.

Es wird mit Massnahmen gedroht, die beim aktuellen Verfahrensstand gar nicht umsetzbar sind, z.B. Vollstreckung und Pfändung, ohne dass überhaupt ein Mahnbescheid beantragt wurde. Es wird mit Gerichtsverfahren gedroht, obwohl man ganz genau weiß, dass die Ansprüche vor Gericht überhaupt nicht durchsetzbar wären. Man hat in der Tat auch überhaupt gar nicht vor, den Fall vor Gericht prüfen zu lassen. Sondern man gibt sich mit den 10-30 % Angstzahlern zufrieden, die sich einschüchtern lassen und die völlig unberechtigten Forderungen zahlen. Die Kenntnis über die fehlende gerichtliche Durchsetzbarkeit ergibt sich schon daraus, dass die angedrohten Zwangsmassnahmen nie eingeleitet werden, und dass vielmehr sogar schon bei erster anwaltlicher Gegenwehr außergerichtlich auf die Berühmung des Anspruchs sofort verzichtet wird, um einer negativen Feststellungsklage vorzubeugen.

Trotzdem wird diese kreative Auslegung der berufsrechtlichen Freiheiten derzeit in Deutschland nicht angetastet. Die Inkassobüros bzw. Mahnanwälte berufen sich auf kreatives Nichtwissen, sie bestreiten die Kenntnis von der Nichtdurchsetzbarkeit der Forderung. Und bekommen von vielen Fällen von deutschen Staatsanwälten Recht. Strafverfahren wegen Behilfe zum Betrug werden meistens eingestellt.

Gefälschte Mahnbescheide

Es gibt Anwälte und Inkassobüros, die ihre eigentlich ganz normalen Mahnschreiben gern als Pseudo-Mahnbescheide hochstilisieren. Dazu stecken sie die Mahnschreiben in gelbe Umschläge, die in der Gestaltung denen ähnlich sehen, wie sie von den deutschen Mahngerichten versendet werden. In die Betreffzeilen wird dann gern "Mahnbescheid" geschrieben. Damit soll dem rechtsunkundigen Laien vorgetäuscht werden, dass bereits ein gerichtliches Mahnverfahren beantragt worden sei, obwohl das tatsächlich gar nicht der Fall ist und auch tatsächlich gar nicht beabsichtigt wird.

Es ist leicht vorstellbar, dass solche Tricks bei rechtlich uninformierten Zeitgenossen leicht verfangen. Solche miesen Taschenspielertricks sind in einer rechtlichen Grauzone angesiedelt und nirgends explizit verboten. Es steht nirgends im Rechtsdienstleistungsgesetz, dass der Inkassodienstleister keine gelben Umschläge mit Verwechslungsgefahr zum originalen Mahnbescheid nutzen darf. Es steht nirgends, dass er seine Mahnungen nicht "Mahnbescheid" nennen darf. Alles, was aber nicht explizit verboten ist, wird in Deutschland inzwischen auch durchgeführt, wenn es unseriösen Profit zulasten von Verbrauchern verspricht.

Mit Sicherheit würde ein Arzt, der seine Mahnungen wegen der Privatrechnungen in gelbe Umschläge packen würde, sehr bald Probleme mit der Ärztekammer bekommen. Bei einem Inkassodienstleister oder bei einem Rechtsanwalt stört das niemanden.

Bedrohung und Nötigung

Im Rahmen der Beschäftigung mit verbraucherrechtlichen Themen bekommt man in den Droh- und Mahnschreiben von Inkassobüros oder Anwälten Formulierungen zu Gesicht, die jeder Beschreibung spotten, darunter etwa solche Preziosen:

"Unsere Inkassomitarbeiter werden sich in den nächsten Tagen in den Abendstunden bei Ihnen einfinden. Halten Sie dazu bitte die notwendigen Unterlagen bereit: Gehaltsnachweise, Bankauszüge, Bausparverträge, Versicherungsbescheinigungen."
"Wir werden den Fall an die Strafverfolgungsbehörden weiterreichen, um eine Beschlagnahme Ihres Computers zu Zwecken der Beweissicherung zu erreichen."
"Es stehen uns folgende Massnahmen bei Nichtzahlung zur Verfügung: Pfändung (auch Gehalt/Rente/Arbeitslosengeld), Vollstreckungsbescheid, ..."
(Quelle:Verschiedene Mahnschreiben von Abzockern)

Der typische Verbraucher weiß nicht, dass Inkassobüros kein Recht haben, eine Wohnung zu betreten. Er weiß nicht, dass in Wirklichkeit diese albernen Drohungen mit den angekündigten Hausbesuchen nur heiße Luft sind. Er weiß nicht, dass die Strafverfolgungsbehörden sich herzlich wenig um die Verfolgung von Ansprüchen aus untergeschobenen Verträgen kümmern. Er weiß nicht, dass eine Pfändung nur nach unwidersprochenem Mahnbescheid und Vollstreckungsbescheid möglich ist. Er weiß nicht, dass all diese Drohungen nur heiße Luft sind, und dass tatsächlich gar kein Interesse an einer gerichtlichen Klärung besteht, wo der Abzocker natürlich unterliegen würde.

Besonders fatal wirken sich solche nötigenden Drohungen auf alte Menschen aus. Diese sind besonders anfällig für die vielfältigen Fallen der Nepper, Schlepper und Bauernfänger, und sie lassen sich besonders leicht durch Drohungen einschüchtern.

Beliebt ist auch das Beilegen von Kopien der Urteilstexte von Anerkenntnisurteilen. Mit diesen Urteilen, die allesamt überhaupt nichts zur Sache der Anspruchsgrundlage aussagen, soll suggeriert werden, dass der Schuldner keine Chance habe und zahlen müsse.

Abofallen-Abzocke - Spätlese - Inkasso-Mahnungen - Irreführende Gerichtsurteile der Nutzlos-Branche

Die Methoden der Bedrohung und Nötigung gehen bis hin zu der vielzitierten Geschichte des sogenannten "Inkasso-Team Moskau". Hierbei hat es sich um einen dubiosen Dienstleister gehandelt, einen ehemaligen CDU-Stadtrat aus Celle, der ohne vorliegende Inkassogenehmigung unter Zuhilfenahme massiv drohender Methoden gearbeitet hat. Beispielsweise erschienen martialisch aussehende, kräftige schwarz gekleidete Männer bei den Betroffenen. Natürlich wurde dieser absurde Zirkus inzwischen von den Behörden beendet, aber auch hier hat dies recht lang gedauert.

Ungenehmigte Lastschriften mit Verwendungszweck "Kontopfändung"

Es gibt eine Anwaltskanzlei, die dafür bekannt ist, frech und dreist ohne bestehende Lastschrifteinzugsermächtung von den Konten der "Schuldner" Beträge abzubuchen, und dann in den Verwendungszweck der Abbuchung "Kontopfändung" hineinzuschreiben. Und das, obwohl bis dahin nicht einmal ein gerichtlicher Titel existiert, und obwohl z.T. die Forderungen auf fraglicher Grundlage stehen.

Auch, wenn die Forderungen möglicherweise berechtigt sind: es kann wohl nicht angehen, dass man sich ohne Genehmigung in Wildwestmanier an fremden Konten vergreift und sich nun neuerdings Maßnahmen erlaubt, die den Gerichtsvollziehern vorbehalten sind. Aber für den betreffenden Anwalt scheinen diese Wildwestpfändungen bisher keinerlei berufsrechtliche Konsequenzen zu haben. Auch das gehört in Deutschland offenbar inzwischen zu den geduldeten kreativen Freiheiten des Berufsstandes.

Ankauf fauler Vollstreckungstitel und in der Folge Inkassobriefe an Unbeteiligte

Da man in unserer Zeit versucht, aus allem irgendwie Geld zu machen, ist es neuerdings in Mode gekommen, uralte, nicht eintreibbare Vollstreckungstitel aufzukaufen. Man lässt sich die Forderungen aus diesen faulen Titeln, die bisher wegen Zahlungsunfähigkeit oder unbekanntem Aufenthaltsort des Schuldners u.v.m. durch die Gerichtsvollzieher nicht einzutreiben waren, für einen relativ geringen Betrag abtreten. Besonders oft handelt es sich dabei um alte Titel aus z.T. über 15 Jahre zurückliegenden, nicht bezahlten Käufen bei Versandhäusern. Hier beobachtet man, dass Mahnschreiben zugestellt werden, unter Bezugnahme auf einen vorliegenden Titel, und dass sich jedoch die angeblichen Schuldner weder daran erinnern können, jemals bei diesem Versandhaus etwas bestellt zu haben, noch einen Mahnbescheid bzw. Vollstreckungsbescheid zugestellt bekommen zu haben. Bei den Klärungsversuchen zu diesen Ungereimtheiten zeigt es sich dann oft, dass tatsächlich ein Vollstreckungstitel existiert, dass dieser jedoch an einen "Namensvetter" unter ganz anderer Adresse zugestellt wurde.

Diese Fälle häufen sich inzwischen derart, dass man nicht mehr so recht an Zufälle oder an ein "Versehen" glauben mag. Vielmehr scheint sich hier folgendes dreistes Szenario abzuspielen: man kauft, wie gesagt, uralte, faule Vollstreckungstitel an, und versucht dann in betrügerischer Weise, die Forderungen einfach willkürlich bei Namensvettern einzutreiben, die man vermutlich willkürlich aus dem Telefonbuch bzw. aus Adressdatenbanken herausgesucht hat. In der Hoffnung, dass ein gewisser Prozentsatz die z.T. horrenden Forderungen in Höhe mehrerer Hundert Euro schon zahlen werde, unter der irrigen Annahme, man habe verpasst, gegen Mahnbescheid und Vollstreckungsbescheid Widerspruch einzulegen. Dieses Szenario würde auch erklären, warum diese Forderungen nie über den Gerichtsvollzieher eingetrieben werden, wie es eigentlich der übliche Weg wäre, sondern warum ausgerechnet ein Inkassobüro am Gerichtsvollzieher vorbei hier außergerichtlich trotz bereits bestehendem Titel tätig wird, unter direkter Kontaktierung des angeblichen Schuldners. Die näheren Umstände dieser Beitreibungen sind äußerst dubios, aber offenbar kümmern sich weder die Strafjustiz noch die aufsichtsführenden Gerichte um diese Vorgänge. Die Inkassobüros berufen sich ggf. auf "ein bedauerliches Versehen", niemandem fällt auf, dass es ganz offensichtlich zuviele dieser "bedauerlichen Irrtümer" gibt, die nur mit systematischen mutwilligen Betrugshandlungen erklärbar sind.

Hier hat man es quasi mit einer "Giftmüllauslagerung" zu tun. Man kauft faule Forderungen - zahlen soll den Giftmüll dann gefälligst irgendwer, der das Pech hat, denselben Namen zu tragen wie der Schuldner. Hauptsache, unter dem Strich stimmt danach das Geld.

Es fällt schon auf, dass sich erstaunlich wenige Juristen über solche und ähnliche Methoden wirklich aufregen. Das alles zählt offenbar auch schon zu den tolerierten kreativen Freiheiten, an die man sich längst schon gewöhnt hat.

Einzug längst verjährter Kleinforderungen

Es ist in Deutschland einem Inkassobüro oder Anwalt nicht verboten, im Forderungseinzug einen Anspruch zu vertreten, der ersichtlich längst verjährt ist. Der Eintreiber darf so tun, als habe er keine Kenntnis von der Verjährung, und als stehe seinem Mandanten der Anspruch ganz selbstverständlich zu. Obwohl er auch noch auf das Datum der Forderung im Mahnschreiben Bezug nimmt und daher als rechtskundige Person Kenntnis von der Verjährung haben muss, darf er rotzfrech mit Pfändung, Schufa-Eintrag und Mahnbescheid drohen.

Besonders gern werden hier Forderungen für angeblich vor Jahren in Anspruch genommene Telefonverbindungen auf 0900-Mehrwertdienstnummern oder Auskunftsdiensten hergenommen. Die Betroffenen können sich natürlich in der Regel nicht erinnern, ob sie vor Jahren einmal so einen Dienst in Anspruch genommen haben könnten. Einzelverbindungsnachweise oder Prüfprotokolle sind nach so einer langen Zeit wohl meistens nicht mehr beizubringen. Oft sind auch die Telefonrechnungen inzwischen vernichtet.

Ein rechtsunkundiger Schuldner wird gerade eine Bagatellforderung oft bezahlen, ohne Rechtsberatung einzuholen. Denn die Kosten für die Rechtsberatung übersteigen bei einer Forderung für eine angeblich vor 6 Jahren in Anspruch genommene 0900-Mehrwertleistung in Höhe von 4 € deutlich den Streitwert. Damit rechnen auch die dubiosen Abzocker. Sie wissen, dass die meisten Verbraucher sich nicht mit der Verjährungsregel sowie mit der Regelung zum Prüfprotokoll nach § 45i TKG auskennen. Der rechtsunkundige Verbraucher, der im Rechtsirrtum eine längst verjährte Forderung bezahlt, weil er von frechen Droh- und Mahnbriefen eingeschüchtert wurde, wird vom deutschen Gesetz nicht geschützt. Eigentlich handelt es sich hier um eine sehr aggressive Geschäftspraxis. Es wird ein Anspruch vertreten, von dem der Forderungssteller genau wissen muss, dass er gegen die Verjährungsreinrede gar nicht durchsetzbar wäre. Und es wird rechtsmissbräuchlich mit völlig unangemessenen und in Wirklichkeit auch gar nicht geplanten Zwangsmaßnahmen gedroht. Es wird ganz gezielt die Schwächeposition des rechtsunkundigen Verbrauchers ausgenutzt, um einfach nur Profit einzufahren.

Viele dieser Forderungen scheinen darüber hinaus auch völlig frei aus der Luft gegriffen zu sein. Es hat Fälle von Forderungen für Mehrwertleistungen gegeben, wo zu der angeblichen Zeit der Inanspruchnahme der jeweilige Telefonanschluss des Endkunden nicht mehr bzw. noch nicht geschaltet war. Hierzu mag sich jedermann seinen Teil denken. Die Täter berufen sich jedoch im Zweifel stets mit Erfolg auf einen "bedauerlichen Irrtum" bzw. "Bestreiten der Kenntnis mit Nichtwissen", sie verzichten bei anwaltlicher Gegenwehr auf die Anspruchsberühmung, aber auch nur "aus Kulanz und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht".

Der Verbraucher, der solche Forderungen zahlt, obwohl er gar nicht müsste, ist nach übereinstimmender Meinung der Politik und der Juristen in Deutschland "selbst schuld". Einen Schutzanspruch hat der rechtsunkundige deutsche Verbraucher nicht, nein: er hat noch nicht einmal einen effektiv durchsetzbaren primären Unterlassungsanspruch gegen solche Praktiken. Dieser Rechtsdarwinismus im Forderungseinzug ist politisch so gewollt und in jahrzehntelanger, tradierter Lobbyarbeit ins deutsche Rechtssystem hineingewachsen. Politisch wird auch nicht über die leisteste Änderung nachgedacht.

Schutz des rechtsunkundigen Verbrauchers vor Inkassokriminalität ist in Deutschland unzureichend

Das deutsche Inkassorecht schafft ganz bewusst und unter politischer Duldung eine rechtsdarwinistische Wildwestmentalität im Forderungseinzug. Das deutsche Recht berücksichtigt dabei fast gar nicht das schutzwürdige Interesse des Schwächeren. Im französischen Recht gibt es schon lang den Begriff des "abus de faiblesse", also: des Missbrauchs der physischen oder psychischen Unterlegenheit eines Verbrauchers. Dort handelt es sich sogar regelrecht um Straftatbestände. Wer in Frankreich einer alten Frau bei einer ersichtlich längst verjährten Forderung mit Gerichtsvollzieher, Pfändung, Eintrag in Schuldnerdatenbanken und ähnlichem Kasperletheater droht, bekommt dort ziemlich sicher erheblichen Ärger. Die entsprechenden Regelungen finden sich z.B. in den Artikeln L. 122-11 bis L. 122-15 des französischen Verbrauchergesetzes ("code de consommation"). In Extremfällen geht dies bis hin zur Androhung einer 2-jährigen Freiheitsstrafe, einer Geldstrafe in Höhe von 150.000 € sowie einer 5-jährigen Gewerbeuntersagung. Die Geldstrafe kann im Falle einer juristischen Person bis zu 750.000 € betragen.

Der Begriff einer "aggressiven Geschäftspraktik" unter Ausnutzung der Rechtsunkenntnis ist dagegen in Deutschland im UWG zwar in vagen Andeutungen implementiert, er ist jedoch in der angewandten Rechtspraxis fast überhaupt kein Thema. Es wird schlankweg vorausgesetzt, dass der deutsche Verbraucher seine Rechte schon kenne, oder dass er ansonsten wegen einer Bagatellforderung von 30 € zum Anwalt zu gehen habe, um sich dort für 40 € eine Rechtsberatung zu holen. Die Münchner Staatsanwaltschaft hält es nicht für strafbar, wenn eine Inkassoanwältin eine Forderung vertritt, von der sie nachweislich selbst genau weiß, dass ihr Mandant darauf keinen Anspruch hat. Es sei, so die Meinung der Strafjuristen, für den Bürger ohne weiteres zumutbar, mit unberechtigten Forderungen konfrontiert zu werden, da er genug Mittel zu deren Abwehr in der Hand habe. Auch in den völlig unverhältnismässigen Drohungen der Anwältin mit Vollstreckung etc. sahen die Staatsanwälte nicht den Straftatbestand der Nötigung erfüllt. Hier wird deutlich, dass die faktisch bestehende, erhebliche Unterlegenheit des typischerweise rechtsunkundigen Verbrauchers im deutschen Rechtswesen nicht berücksichtigt, vielleicht sogar bewusst ignoriert wird. Wird schon die Unterlegenheit des Verbrauchers konstant geleugnet bzw. ignoriert, so wird logischerweise auch ein daraus eigentlich entstehender Schutzanspruch überhaupt nicht erst diskutiert.

Der Schutz des deutschen Verbrauchers vor unlauteren Geschäftspraktiken besteht lediglich in der Durchsetzung vager und ineffizienter "Unterlassungsansprüche". Im Gegensatz zur Situation fast überall im Ausland werden Wettbewerbsverstöße in Deutschland nicht direkt mit harten Sanktionen bestraft, sondern sie müssen umständlich anhand sogenannter "Unterlassungsurteile" für die Zukunft untersagt werden. Zudem ist in Deutschland der Privatverbraucher nach UWG und UKlaG nicht klagebefugt. Eine negative Feststellungsklage kann der Verbraucher nicht gegen das Inkassobüro, sondern lediglich gegen dessen illustren Mandanten richten - welcher dann bei verlorener Klage genug Möglichkeiten hat, um sich durch Firmenbestattung, Insolvenz etc. um die Gerichtskosten herumzudrücken. De facto hat daher der Privatverbraucher kaum aktive Möglichkeiten, um sich gegen Inkassokriminalität zu wehren. Auch würde sich die Streitfrage stellen, ob im Forderungseinzug überhaupt eine Wettbewerbshandlung nach UWG zu sehen ist. Weder die Verbraucherverbände noch die Wettbewerbszentrale haben sich bisher an einen Musterprozess gegen unlautere Inkassobüros herangetraut.

Völlig frei erfundene Forderungen - Rechtsbeugung und Untätigkeit bei der strafrechtlichen Verfolgung von Inkassobetrug

Zunehmend werden Forderungen eingetrieben, die ersichtlich frei aus der Luft gegriffen wurden. So hat ein Neu-Isenburger Inkassobüro wahrscheinlich einen nicht existierenden "russischen" Mandanten selbst erfunden, Forderungen frei konstruiert und bundesweit bitterböse Mahnbriefe wegen angeblicher Anmeldungen bei telefonischen Gewinneintragungsdiensten versendet. Es gab Tausende Strafanzeigen. Die hessische Justiz hatte jedoch nichts besseres zu tun, als das Verfahren einzustellen. Mit folgender, vielsagender Begründung:

  • Der Betreiber des Inkassobüros habe ja nicht ahnen können, dass es den russischen "Mandanten", der ihm per anonymer e-Mail (!) angeblich den Auftrag für das Inkasso erteilt haben soll, gar nicht gibt. Die russische Interpol hat den betreffenden russischen Herrn natürlich nirgends ausfindig machen können. Auch die "Firma" dieses Herrn gab es nicht. Der Staatsanwalt hat offenbar den Betreiber des Inkassobüros auch nicht weiter gefragt, warum der nicht auf die Idee gekommen sei, bei einem anonymen Mandanten aus Russland (!), einem Staat, mit dem die Bundesrepublik nicht mal ein Rechtshilfeabkommen unterhält, eine ordnungsgemäße schriftliche Bevollmächtigung anzufordern sowie die Adressangaben durch postalische Rückzustellung zu verifizieren. Offenbar gehört das inzwischen auch nicht mehr zu den üblichen zumutbaren Sorgfaltspflichten beim Betrieb eines Inkassobüros. Nein - das Inkassobüro habe hier "im guten Glauben" handeln dürfen, dass schon alles mit rechten Dingen zugehe. Und es drängt sich offenbar auch niemandem der Verdacht auf, dass die Schutzbehauptung des Inkassobüros völlig lebensfremd sein könnte, und dass in Wirklichkeit alles frei erfunden wurde. Die ständige Rechtsprechung im Strafrecht, dass im Rahmen der Beweiswürdigung lebensfremde Darstellungen nicht unter dem Grundsatz des "in dubio pro reo" als Entlastung gewertet werden müssen, zählte hier nicht. Das Verfahren war nach Meinung der Staatsanwälte einzustellen. Für eine Durchsuchung der Geschäftsräume in dieser Angelegenheit gab es anscheinend keinen hinreichenden Anfangsverdacht.
  • Der Betreiber des Inkassobüros (obwohl eine rechtskundige Person) habe ja auch nicht ahnen können, dass der Verdacht des Betrugs sich förmlich aufdrängen müsse, als er Gelder für diesen nicht verifizierten russischen Mandanten ausgerechnet nach Zypern überwies. Ob hier nicht auch Tatbestände der Geldwäsche sowie Steuerstraftaten vorliegen, das scheint in Hessen ebenfalls niemand zu prüfen, auch die Bundesaufsichtbehörde für Finanzdienstleistungen (BAFIN) und die hessischen Finanzbehörden scheint dies nicht weiter zu interessieren.

Erst mehr als ein Jahr später, nach massiven öffentlichen Protesten, wurde der Fall dann doch wieder aufgegriffen, es wird ermittelt, das Inkassobüro und mehrere seiner Zweigstellen wurden durchsucht.

Mit solchen und ähnlichen Ausreden des "kreativen Nichtwissens" kommt man zumindest in Hessen lange Zeit erfolgreich durch, wenn es um organisierte Wirtschaftskriminalität geht. Hier schwebt über dem Betreiber des Inkassobüros ein von unsichtbarer Hand gespannter Schutzschirm. Er genießt einen Welpenschutz, wie er in anderen Fällen den "einfachen Leuten", die sich z.B. durch irreführende Täuschungsmanöver aus Naivität zur Mithilfe bei Computerbetrug hinreissen lassen, beileibe nicht zugestanden wird. Gegen die vielen Arbeitslosen, Rentner, Schüler und Studenten, die sich nach betrügerischen Lock-e-Mails wegen angeblich lukrativer Stellenangebote als "Finanzagenten" zur Verfügung stellen und wohl meist unwissentlich Phishing-Gelder nach Russland transferieren, wird Anklage erhoben, ständig gibt es Prozesse, mindestens Strafbefehle mit saftigen Geldstrafen wegen Beihilfe zum Computerbetrug und zur Geldwäsche. Die naiven Akteure müssen sich regelmäßig von den Staatsanwälten vorhalten lassen, dass "Gutgläubigkeit eben nicht vor Strafe schütze", und dass hier schon beim ersten Anschein der Verdacht des Betrugs sich förmlich aufdrängen müsse.

Aha. Plötzlich muss sich also der Verdacht "förmlich aufdrängen". Ist das nicht bemerkenswert?

Wie ist das nun zu verstehen? "Die kleinen hängt man, die großen lässt man laufen?"

Ein rechtskundiger Betreiber eines Inkassobüros hat jede Menge strafrechtlichen Spielraum für "kreatives Nichtwissen", während dem kleinen, naiven, rechtsunkundigen und mit den perfiden Betrugsmaschen des Internets nicht vertrauten Bürger dieser Spielraum in keiner Weise zugestanden wird. Selbst die BAFIN, die sich nicht für die dubiosen Auslandsüberweisungen des Inkassobüros interessiert, schafft es merkwürdigerweise, den naiven Finanzagenten Ordnungsgeldbescheide wegen nicht genehmigter Auslandstransaktionen zuzustellen.

Das sind alles sehr merkwürdige Widersprüche, die dem denkenden Zeitgenossen Anlass für mancherlei Spekulationen, vielleicht auch Verschwörungstheorien geben. Vertrauensbildend hinsichtlich des Glaubens an die Konsistenz des deutschen Rechtsstaats wirken diese eklatanten Widersprüche jedenfalls nicht.

Verbesserungen durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken

Mit dem Gesetz gegen unlautere Geschäftspraktiken vom 08.10.2013 sind umfangreiche Änderungen im Bereich der Informationspflichten in Kraft getreten, die von einem Inkassobüro gegenüber dem Schuldner zu erbringen sind. Unter anderem gibt es wichtige Änderungen im Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) und in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO).

=>Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken

Im wesentlichen müssen Inkassobüros inzwischen bereits bei der ersten Mahnung mitteilen, wer der Auftraggeber ist, auf welchen Vertragsgegenstand man sich beruft, auf welcher Grundlage die Verzugszinsen berechnet werden, ob der Mandant vorsteuerabzugsberechtigt ist und weiteres.

Immerhin bieten diese neuen gesetzlichen Auflagen eine konkrete Handhabe bezüglich Beschwerden gegen unlautere Inkassobüros. Die aufsichtführenden Oberlandesgerichte bekommen damit konkrete, fassbare Tatbestände an die Hand, um ggf. einem unlauteren Inkassobüro die Erlaubnis entziehen zu können.

Es bleibt aber die massive Waffenungleichheit der Inkassobüros gegenüber dem rechtsunkundigen Schuldner bestehen. Der Schuldner kennt häufig seine Rechte nicht, und da er bei außergerichtlicher Forderungsabwehr die Kosten für eine Rechtsberatung selbst zu tragen hat, nimmt er häufig eben keine solche Beratung wahr, sondern er zahlt, "um Ruhe zu haben" und um "die Sache aus der Welt zu schaffen".

Diese Waffenungleichheit bleibt bestehen, solange sich die Politik auch weiterhin konstant weigert, einen Schadenersatzanspruch für die außergerichtliche Forderungsabwehr bei ungerechtfertigten Forderungen zu diskutieren.

Fazit

Als Betreiber eines Inkassobüros oder als Forderungsanwalt geniesst man in Deutschland derzeit politisch garantierte Narrenfreiheit. Eine Beschränkung findet nur hinsichtlich der Überprüfung der erforderlichen Voraussetzungen bei der Beantragung der Genehmigung statt. Hat man diese Genehmigung erst einmal erlangt, gibt es kaum noch etwas, was den Betreiber effektiv bremsen könnte. Strafverfolgung muss er nicht wirklich fürchten, wie das Beispiel aus Neu-Isenburg nur zu deutlich zeigt. Mit den billigsten Ausreden gelingt es, sich vor einer Anklage wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu retten, weil deutsche Staatsanwälte offenbar immer dann, wenn es um Wirtschaftskriminalität geht, oft überspannte Anforderungen an die Nachweisbarkeit des Betrugsvorsatzes stellen. Solange der Betreiber eines Inkassobüros nicht rechtskräftig wegen Betrugs verurteilt wird - und das wird er wohl nur dann, wenn er sich extrem dämlich anstellt - wird ihm die Zulassung nicht entzogen. Das Rechtsdienstleistungsgesetz gibt jedenfalls keine Gründe dafür her, warum ein Betreiber eines Inkassobüros oder ein Inkassoanwalt nicht unlauter oder aggressiv arbeiten dürfe. Das Gesetz schweigt sich zu den zulässigen oder nicht zulässigen Verhaltensweisen im Forderungseinzug komplett aus. Da im Gegensatz zum alten, bis 2008 gültigen Rechtsberatungsgesetz nun inzwischen nicht einmal mehr die Verhängung von Auflagen seitens der Aufsichtsbehörden vorgesehen ist, dürfte es nach dem neuen RDG rechtlich sogar eher noch schwieriger sein, einem Inkassobüro die Zulassung zu entziehen.

Auch der Bundesverband der Inkassounternehmer (BDIU) tut herzlich wenig in dieser Sache. Zwar werden unlauter arbeitende Berufskollegen aus dem Verband ausgeschlossen, aber was macht das schon? Es gibt keine Zwangsmitgliedschaft im Verband, sie dürfen daher problemlos weiterarbeiten, und wettbewerbsrechtlich wird man offenbar auch nicht gern gegen die eigenen Kollegen etwa mit Unterlassungsklagen tätig. Auch werden keine Vorstöße unternommen, um etwa den offiziellen Verhaltenskodex, den der BDIU seinen Mitgliedern auferlegt, als gesetzlich verbindlich geltende Richtlinie zu implementieren.

Der Betrieb eines unlauteren Inkassobüros ist also derzeit einer der wirklich empfehlenswerten Geschäftszweige, wenn man es darauf abgesehen hat, unter möglichst wenig Leistung möglichst viel Geld zu scheffeln. Man erhält den Freibrief, ohne berufsrechtliche verbindliche Limits in einer bequemen Nische kreative Methoden der Geldakquise zu entwickeln. Das Fehlen eines berufsrechtlichen Ordnungsrahmens war politisch erwünscht, es wurde in der Bundestagsdrucksache zu den Beratungen über das RDG explizit der Wille des Gesetzgebers dokumentiert, dass beim Betrieb eines Inkassobüros keinerlei berufsrechtliche Beschränkungen und Auflagen zu implementieren seien. Das ist in der Tat höchst bemerkenswert und in Deutschland eine einmalige Situation. Denn ansonsten hat jeder Berufsstand mit Recht seine Auflagen und Bestimmungen zu beachten. Ein Pilot bekommt genau vorgeschrieben, dass er seine Maschine so betanken muss, dass er eine Reserveflugzeit von 30 Minuten hat. "Freiheit über den Wolken?" Das ist Unsinn, die gibt es nicht. Kurs und Geschwindigkeit werden ihm genau vorgeschrieben. Ein Bäcker, der Ungeziefer in der Backstube hat, bekommt den Laden schneller geschlossen, als er "Weizenmehl" sagen kann. Ein Arzt, der Rechnungsposten für nicht erbrachte Leistungen ansetzt, bekommt über kurz oder lang schweren Ärger mit der Ärztekammer und kann seine Approbation verlieren.

Und warum eigentlich auch nicht? Bei allen diesen Berufen finden wir Reglementierungen selbstverständlich und notwendig, aber ausgerechnet ein Inkassodienstleister oder ein Mahnanwalt soll tun dürfen, was er will? Mit welcher Rechtfertigung wurde hier diese Libertinage durchgesetzt? Europarechtliche Harmonisierungsforderungen, wie dies politisch behauptet wird, können jedenfalls nicht ursächlich sein, weil überall im europäischen Ausland wie auch in den sonst so wirtschaftsliberalen USA strenge rechtliche Auflagen für den Forderungseinzug existieren. In den USA gibt es in Form des "Fair Debt Collection Practices Act" ein eigenes Gesetz mit konkreten Punkten zu den Praktiken, die im Forderungseinzug nicht erlaubt sind. In Großbritannien gibt es den Kodex des OFT (Office for Fair Trading). In Frankreich, wie oben dargelegt, die strengen Bestimmungen des "code de consommation". Was reitet also den deutschen Gesetzgeber, einen Bedarf für ordnungsrechtliche Bestimmungen im Forderungseinzug zu ignorieren? Was reitet den Rereratsleiter im Bundesministerium für Justiz, zuständig für das Anwaltsrecht und Rechtsdienstleistungen, weiterhin zu behaupten, die geltenden Gesetze reichten aus - trotz expliziter Forderungen der aufsichtführenden Gerichte, man möge doch endlich für gesetzlich verbindliche Bestimmungen für den Forderungseinzug sorgen? Man darf vermuten, dass hier eine ganze Menge erfolgreicher, im Hintergrund aktiver Lobbyistenarbeit im Spiel ist, aber es gibt auch die konsequente Ignoranz des deutschen Gesetzgebers und die Weigerung, die Tatsache der rechtlichen Unterlegenheit des Verbrauchers und damit einen Schutzanspruch gegen aggressive Geschäftspraktiken anzuerkennen. Diese arrogante Verweigerungshaltung deutscher Juristen hat jahrzehntelange Tradition.

Selbstverständlich sind bei weitem nicht alle Inkassobüros in Deutschland unseriös. Aber der Verband BDIU sollte sich schon fragen lassen, warum er sich im herzlichen Einvernehmen mit der Politik seit Jahren gegen die Einführung eines verbindlichen Gebührenrahmens sowie gegen effektive berufsrechtliche Bestimmungen sperrt, wie sie im europäischen Ausland fast überall selbstverständlich sind, ohne dass deswegen dort der Forderungseinzug bei berechtigten Ansprüchen in irgendeiner Weise leiden würde.

Ein Umdenken ist derzeit nicht in Sicht. Man weigert sich, den "common sense" des Bürgers, der solche Methoden unerträglich findet und Abhilfe verlangt, zur Kenntnis zu nehmen. Nun gut - dann muss man es eben hinnehmen, wenn das Image eines ganzen Berufsstands irgendwann dem der Zeitungsdrücker und Taschendiebe gleichgesetzt wird. Denn der Umfang unlauterer Beitreibungen hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Vielleicht möchte der zuständige Referatsleiter im Ministerium ja auch gern einmal Kopien aller unlauteren Inkassobriefe auf seinem Schreibtisch vorfinden. Vielleicht möchten sie es alle so haben.
Man weiß es nicht.

Links

Artikel Antispam e.V.: Deutschland ist ein Abzockerparadies
Wikipedia-Artikel über Inkassounternehmen
Artikel auf SPIEGEL-online über "Moskau-Inkasso"

Suchbegriffe: Mahnung, Anwalt, Inkassobüro, Betrug, Abzocke, Wirtschaftskriminalität




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