Dammbruch bei Coldcalls? Zur geplanten Neuregelung des UWG
Zitat von Goofy
Etwas, was nach UWG illegal ist, ....
Zitat von Goofy
... Umfrage zu Marktforschungszwecken ist gem. UWG unlauter, wenn keine vorherige Zustimmung vorlag. ...Verkaufsgespräch ...erst recht unlauter, weil ... UWG umgangen werden soll.
Dies gilt leider höchstwahrscheinlich ab Anfang 2009 nicht mehr, lieber Goofy, für sogenannte Markt-/Meinungs-/Sozialforschern, die jährlich für mehrere Millionen ColdCalls in Deutschland verantwortlich sind! Von den über 300 Mio. unerwünschter kommerzieller Anrufe jährlich (laut Bundesverband Verbraucherzentralen VZBV) bzw. 82,6 Mio. allein im 1. Quartal 2006 (so ermittelt durch die Gesellschaft für Konsumforschung GfK) dürften die Anrufe allein der o.g. Branche inzwischen gewiß ca. 10 Mio. jährlich ausmachen.
Die Werbewirtschaft sowie die kooperierenden Verbände der Markt- und Meinungsforscher stehen aktuell kurz vor einem großen Erfolg: nämlich die ihnen lästige Rechtsprechung seit der letzten UWG-Novelle 2004 zu überwinden, die ihren Telefon-Spam immer wieder als rechtswidrig beanstandet und diesen ebenso ebenso wie telefonische Direktwerbung behandelt hat. Zusammenfassende Darstellung hier:
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Nach veröffentlichtem lauten Wehklagen darüber mußte die Branche ihre Ankündigung, man wolle dagegen bis zum EuGH klagen,
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nach vielfachen deutlichen Niederlagen auch vor dem Kammergericht Berlin zwar als aussichtslos aufgeben.
Doch das dürfte ihnen schließlich leichter gefallen sein. Denn etwa zeitgleich antichambrierte die Verbandslobby erfolgreich beim BMJ. Schon im Sommer 2006 wedelte der Justitiar der Spammer-Verbände ADM + BVM
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triumphierend vor Gericht mit dem BMJ-Arbeitsentwurf vom 24.7.2006 zur UWG-Novelle. Schon danach sollten die Marktforscher besser ge*stellt werden als sonstige Telefonwerber.
Diese Privilegierungen hat die Lobby seither sogar noch ausbauen können. Der veränderte Regierungsentwurf setzt nämlich Entscheidendes von dem um, was die Marktforscher in ihren lan*gen Stellungnahmen dazu gefordert haben, vor allem im Ergebnis dies:
„Die Markt- und Meinungsforschung sollte durch eine entsprechende Ergänzung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG explizit aus dem Kreis der geschäftlichen Handlungen und damit aus dem Anwendungsbereich des UWG herausgenommen werden. (Absatz E.4.)“
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Das seit dem 4.7.2004 geltende UWG definiert nämlich „Wettbewerbshandlungen“ in § 2 Abs. 1 Nr. 1 offen:
"Wettbewerbshandlung" (ist) jede Handlung einer Person mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern;
Die Begründung des Regierungsentwurfs
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dazu lautete (S. 16):
„“Der Begriff der Wettbewerbshandlung ... umfasst nicht nur die eigene Absatzförderung, sondern auch das Handeln von Per*sonen, die den Wettbewerb eines fremden Unternehmens fördern wollen, sowie Handlungen im Nachfrage*wettbewerb.“
und
(S. 20) zu den Spam-Verboten in § 7 Abs. 1 UWG
„Voraussetzung ist demnach auch hier eine Wettbewerbshandlung. Der Tatbestand ist indes nicht auf Werbung be*schränkt. So können hierunter beispielsweise auch Aufforderungen zur Abgabe von Meinungsäußerungen fallen“
.
Dies erfaßte also auch Markt- und Meinungsforschung. Dem folgten die Gerichte.
Hingegen nahm nun der Regierungsentwurf 2008 (BT-Drs. 16/10145)
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in der Defintion der „geschäftlichen Handlung“ das bisherige subjektiv-finale Element darin zurück zugunsten eines objektiv betrachteten Zusammenhangs mit Warenabsatz etc.:
2. § 2 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:
aa) Nummer 1 wird wie folgt gefasst:
,1. „geschäftliche Handlung“ jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, während BEI oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Ver- trags über Waren oder Dienstleistungen ob- jektiv zusammenhängt; als Waren gelten auch Grundstücke, als Dienstleistungen auch Rech- te und Verpflichtungen;‘.
Das allein wäre wohl noch nicht schlimm gewesen. Doch die Begründung des Regierungsentwurfs dazu leugnet diesen ge*schäftlichen Zusammenhang bei jeglichem Tun der Markt- und Meinungs*forscher und nimmt dies deklaratorisch aus dem künftigen UWG-Anwendungsbereich aus mit dem Satz:
„An einem solchen Zusammenhang* fehlt es bei einer die Anonymität der befragten Perso*nen wahrenden Markt- und Meinungsforschung.“
In der ersten Lesung im Bundestag wurde dies leider nicht problematisiert.
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Dies hat der fdf. Rechtsausschuß des Bundestages nun am 25.11.2008 leider bekräftigt. Dort stimmten Koalition, FDP und Grüne der Novelle zu; die LINKE enthielt sich (jedoch aus anderen Gründen). In der Beschlußempfehlung des Ausschusses vom 25.11.2008 (BT-Drs. 16/11070)
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wird hervorgehoben:
Die zustimmenden o.g. Fraktionen baten die Bundesregierung u.a., die von Verbraucherverbänden und Medien vorgetragenen „Mißbräuche bei Abmahnungen nach § 12 zu evaluieren“. Die CDU/CSU hob hervor: "daß Markt- und Meinungsforschung weiterhin nicht in den Anwendungsbereich des UWG falle und damit weiterhin möglich sei.“
Ferner heißt es eindeutig (einer „Formulierungshilfe“ des BMJ folgend):
„Zum Begriffsinhalt geht der Ausschuss in Übereinstimmung mit der Begründung des Ge*setzentwurfs davon aus, dass Umfragen allgemeiner Art einschließlich Umfragen zur Markt- und Meinungsforschung, die nicht direkt dem Absatz oder Bezug von Waren oder Dienst*leistungen dienen, auch künftig nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fal*len.
“
Besonders befremdlich ist dabei das Wörtchen „auch“. Denn bisher unterfielen derartige Umfragen ja gerade dem UWG, soweit sie nach den Absichten der auftraggebenden Unternehmen regelmäßig jedenfalls mittelbar den Warenabsatz etc. fördern sollten. Das wurde in der o.g. Rechtsprechung stets bejaht z.B. für Reichweitenanalysen, Umfragen zu Produktpräferenzen, Markenbindung etc.
Dabei ist die Identität der Befragten den Auftraggebern der Umfragen völlig egal, weshalb sie ohne weiteres Anonymitäts-Wahrung zusichern können. Doch der Hinweis auf Anonymitäts-Wahrung im Regierungsentwurf ist bloße Ablenkung vom eigentlichen Problem: Denn der Störeffekt unerbe*tener Spam-Anrufe von 'Forschern' bzw. Werbern ist stets der gleiche, egal ob die Betroffenen anonym bleiben oder nicht.
Und auch für die Ein-/Abgrenzung der „geschäftlichen Handlungen“ bzw. Wettbewerbshandlungen“ war dieses Kriterium ungeeignet. Denn auch für den geschäftlichen Nutzen zur Absatzförderung, den sich auftraggebende Unternehmen von Marktforschung mit ihren Fragen versprechen, ist die Identität der Befragten völlig egal. Im Gegenteil ist den Auftraggebern gerade das Zufallsprinzip anonymer Auswahl der Befragten innerhalb bestimmter Zielgruppen wichtig.
Dies Um-Wertung des UWG-Gesetzgebers, Markt-+ Meinungsforschung nun zu privilegieren und von vornherein von der Anwendung der Spam-Verbote des § 7 UWG auszunehmen, wird sich leider auswirken auf Unterlassungsbegehren von Verbrauchern gegen Marktforscher-Spammer. Denn bei der gerichtlichen Rechtswidrigkeitsprüfung und Abwägung beidseitiger Interessen im Rahmen von §§ 823, 1004 BGB wird diese neue gesetzgeberische Wertentscheidung im UWG berücksichtigt werden müssen.
Die 2./3. Lesung des Bundestages zur UWG-Novelle wird wohl zwischen 17.-19.12.2008 stattfinden. Es darf also noch protestiert werden.
z.B. an die Vorsitzenden sowie zuständigen Fachsprecher der Fraktionen
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-> Ansprechpartner der Fraktionen: CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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ferner bei den Justizministerien der Länder, da der Bundesrat nochmals zustimmen muß.
UWG-Novelle nur noch im Bundesrat vor 19.12.2008 zu stoppen
Ich muß mich korrigieren:
Der Bundestag beschloß die Novelle gemäß der Beschlußempfehlung leider schon am 27.11.2008 in 2./3. Lesung: sehr rasch eingeschoben zwischen die Haushaltsberatungen, ohne Debatte, mit Zustimmung aller Fraktionen bei Enthaltung der 'Linken' (190. Sitzung, TOP VIII B, S. 20512 D)
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Der Bundesrat hat nun eine abschließende Befassung mit diesem Beschluß (BR-Drs. 901/08)
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für seine 853. Sitzung am 19.12.2008 vorgesehen (TOP 13).
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Also ist Protest-Einwirkung nur noch dort über die Länder möglich; federführend sind deren Justizminister bzw. -senatoren.
Falls dies erfolglos bleibt, könnte die Neufassung wohl schon zum 1.1.2009 in Kraft treten.
Geändert von Loreley (05.12.2008 um 10:47 Uhr)
Grund: redaktionelle Ergänzung.
....Die Werbewirtschaft sowie die kooperierenden Verbände der Markt- und Meinungsforscher stehen aktuell kurz vor einem großen Erfolg: nämlich die ihnen lästige Rechtsprechung seit der letzten UWG-Novelle 2004 zu überwinden, die ihren Telefon-Spam immer wieder als rechtswidrig beanstandet und diesen ebenso ebenso wie telefonische Direktwerbung behandelt hat. ....
Bravo!! Nachdem man es nicht geschafft hat etwas substantielles in der Bekämpfung von Telefonspammern zu erreichen und 86jährige Rentnerinnen nach wie vor telefonisch ohne Ende belästigt werden können, passiert dann was richtig tolles: Jetzt wird die telefonische Belästigung noch einfacher.
Offensichtlich lassen sich Politiker aller Parteien lieber von Interessenvertretern über den Tisch ziehen als sich mit kompetenten Verbraucherschützern zusammenzusetzen.
Nur mal eine kleine Zahl am Rande. Ich habe mal die Kombination Call Center Marktforschung bei google eingegeben. 199.000 Treffer
Dann habe ich zwei Firmen angeklickt. Bei beiden gehörte zum Tätigkeitsbereich Markt-und Meinungsforschung und telefonische Neukundenakquise
Natürlich ist die "Marktforschung" da völlig anonym.
Ist es wohl einfacher die Lobbyisten zu hofieren als den normalen Bürger vor den Belästigungen zu schützen?
PS. Und danke nochmal Loreley für den umfangreichen guten Beitrag.
Mir gefallen 2 Arten von Cold Callern: Die, deren Geschäfte so schlecht gehen, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen. Und die, die sich den Gürtel zum Engerschnallen nicht mehr leisten können.
Na hoffentlich rufen die Pseudo-Forscher auch weiterhin brav mit unterdrückter Nummer an, damit man sie relativ einfach mittels FritzBox Fon "entsorgen" kann und weiterhin seine Ruhe hat.
"Wo die Regierung das Volk fürchtet herrscht Freiheit; wo das Volk die Regierung fürchtet herrscht Tyrannei!" (T. Jefferson)
Die von mir getätigten Äußerungen stellen ausschließlich meine persönliche Meinung dar und sind somit durch Artikel 5 Grundgesetz gedeckt, bis ein Gericht etwas anderes entscheidet!
Rechtsanwalt Stefan Richter hat gestern in Zusammenarbeit mit dem Präsidenten des Antispam e.V. die unten als .pdf angehängte ausführliche Stellungnahme des Vereins zum Thema erarbeitet. Diese geht heute und und morgen an alle Fraktionen im Bundestag, die Fraktionsvorsitzenden, wichtige Landtagsfraktionen und ausgesuchte Pressestellen.
An dieser Stelle vielen Dank an die fleißigen Helfer!
@ Mareike26, RA Stefan Richter und alle anderen Fleissigen!
Herzlichen Glückwunsch zu dem ausführlichen Statement. Ich hoffe der Brandbrief zeigt Wirkung, sonst werden wir wohl in Zukunft alle Ohren voll zu hören bekommen.
Macht bitte weiter so!
112 - eine echt heiße Nummer
Ein steter Quell der Weisheit: Das Antispam-Wiki.
Lesen bildet!
Anerkennung an alle Beteiligten für die Klasse-Arbeit.
Für euphorische Stimmung ist allerdings kein Grund, denn das Vorhaben kann nur noch im Bundesrat gestoppt werden. Es bleibt nicht viel Zeit.
Es ist schon bemerkenswert, dass diese Gesetzesvorlage kritiklos durch den Rechtsausschuss des Bundestages durchgewunken wurde.
Goofy
______________________________ Weisheiten des Trullius L. Guficus, 80 v.Chr.:
"Luscinia, te pedem supplodere audio" - Nachtigall, ick hör dir trapsen
"Vita praediolum eculeorum non est" - Das Leben ist kein Ponyhof
"Avia mea in stabulo gallinario rotam automotam vehit" - Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad
"Sed illi, dicito: me in ano lambere potest" - Jenem aber, sag es ihm: er kann mich am Arsch lecken
Ich sage das nur sehr ungern, vor allem, wenn man die aktuellen Entwicklungen betrachtet. Aber manchmal hat seine Vorteile, in England zu wohnen. Das System läuft hier anders:
Per se darf erst einmal jeder angerufen werden.
Aber: Es gibt eine von der Wirtschaft zwangsfinanzierte Robinsonliste, in die man seine Nummern eintragen kann. Nach 28 Tagen ist dieser Eintrag für jeden Cold Caller verbindlich, und jeder unerwünschte Werbeanruf egal welcher Art auch immer gilt als Straftat. O Wunder: Es halten sich alle daran.
Und: Wenn man einem Unternehmen erlaubt hat, einen anzurufen, ruft einen wirklich nur dieses Unternehmen an. Diese Erlaubnis kann man per Mail wieder entziehen, und dann ist Ruhe.
Wir wohnen jetzt ein Jahr in England, Hinz und Kunz wollen für jeden Mist unsere Nummer haben, aber wir hatten seit dem Eintrag in die Robinsonliste noch keinen einzigen ColdCall. Zumal die hier zwangsweise die Rufnummern übertragen, man also anhand dieser einen Übeltäter schnell am Wickel hat.
Um auf das Thema zurückzukommen: Obiges gilt auch für Marktforschung!
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