Offener Brief: Unlautere Telefonwerbung für Klassenlotterien
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Internetforum des Verbraucherschutzvereins Antispam e.V. liefert an vorderster Front ein Spiegelbild des Ausmaßes an unseriösen, unlauteren Wettbewerbsmethoden. Der Bereich der unlauteren Werbung über Telefon hat dabei in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Anstieg zu verzeichnen. Anhand der Zahlen für die Seitenzugriffe und Foreneinträge hat unser Unterforum „Telefonspam“ inzwischen dem klassischen e-Mail-Spam längst den Rang abgelaufen.
Diese Tatsache kommt nicht von ungefähr. Die Möglichkeiten für den Verbraucher, sich gegen unlautere Telefonwerbung zu wehren, sind begrenzt vor allem durch die Tatsache, dass die betreffenden Unternehmen in aller Regel mit Rufnummernunterdrückung anrufen, und dass schon deshalb wettbewerbsrechtliche Sanktionen kaum durchsetzbar sind.
Innerhalb unseres „Telefonspam“-Forums nimmt jedoch die unlautere Werbung für Klassenlotterien ganz offensichtlich den Löwenanteil ein. Der Anteil an Werbung für Reisen, Gewinnspiele, Zeitungsabonnements u.a. fällt demgegenüber deutlich zurück. Fest steht: gäbe es die Telefonwerbung für NKL/SKL-Lose nicht, wäre der Ärger nicht einmal halb so groß.
Bezeichnend ist dabei der Umstand, dass schon gemäß dem seit dem 01.01.2008 gültigen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV ) diese Telefonwerbung ausnahmslos gar nicht stattfinden dürfte. Es handelt sich um geltendes, mit Ordnungsstrafen hinterlegtes Recht, nicht etwa um eine fakultative Empfehlung oder um einen freiwilligen Kodex. Gegen dieses geltende Recht wird jeden Tag zehntausendfach von den beauftragten Callcentern der Klassenlotterien bzw. von Spielvermittlern verstoßen. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass systematisch versucht wird, die staatliche stillschweigende Duldung der massenhaften Verstöße gegen das Telefonwerbeverbot dahingehend auszunutzen, dass eine Art Gewohnheitsrecht etabliert wird.
So wird bei solchen Werbeanrufen auf den Hinweis, der Anruf sei nach § 5 GlüStV illegal, gern geantwortet: „Ja, das wissen wir. Aber die anderen Werbeagenturen machen das genauso.“
Schon aus solchen Äußerungen wird nur zu offensichtlich, dass es sich keineswegs um einige wenige „schwarze Schafe“ handelt, wie es die Klassenlotterien in öffentlichen Verlautbarungen gern suggerieren möchten.
Wobei der Ausdruck „schwarzes Schaf“ eher noch einen Euphemismus darstellt, angesichts der inzwischen im Zuge solcher Anrufe verwendeten Praktiken der Übertölpelung, Nötigung, Drohung, Vortäuschung falscher Tatsachen und regelrechter Pöbeleien.
Dabei handelt es sich auch nicht um Einzelfälle. Vielmehr ist anhand der Einträge in unserem Forum sehr deutlich spürbar, dass vor allem in den letzten Monaten eine bösartige und systematische Verschärfung im Umgangston der Callcenter sowie in den verwendeten Überrumpelungstaktiken stattgefunden hat.
Dem Antispam e.V. liegt ein Gesprächsleitfaden eines Callcenterbetreibers vor, mit dem belegt wird, dass solche Methoden nicht nur geduldet, sondern z.T. regelrecht von den Callagenten verlangt werden.
In diesem Leitfaden ist ganz offen davon die Rede, dass den Kunden eine bereits bestehende Geschäftsbeziehung vorgetäuscht werden soll.
Im Anschluss daran geht es darum, sich mit diesen Falschangaben die Herausgabe weiterer persönlicher Daten, sprich: der Kontonummer, zu erschleichen, um den Kunden dann in ein Vertragsverhältnis zu drängen, das er ohne Verwendung derartiger Methoden mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals eingegangen wäre.
In einem eleganten Aufwasch hält man die Mitarbeiter also dazu an, gegen § 5 GlüStV, gegen § 43 BDSG, gegen § 263 StGB und gegen § 7 UWG zu verstoßen.
Die Lose der deutschen Klassenlotterien scheinen also zu einem gewissen Anteil nur noch unter gleich mehrfachem Verstoß gegen geltendes Recht verkäuflich zu sein.
Dabei handelt es sich jedoch nur um die Maßnahmen, die der Leitfaden selbst vorgibt. Es scheint darüber hinaus jedem Callagenten überlassen zu bleiben, selbst seine Erfindungsgabe zur vermeintlichen Erfolgsoptimierung einzusetzen. Je nach Eigenart des Callcenters beobachtet man dabei haarsträubende Auswüchse. Die Erlebnisberichte von Opfern in unserem Forum sprechen Bände:
- Da werden Schichtarbeiter, die dringend ihren Schlaf brauchen, täglich bereits um 08:00 Uhr aus dem Bett geklingelt. Anschließend erfolgen mehrere Wiederholungsanrufe vom gleichen Callcenter während des gleichen Vormittags, trotz eindeutiger Aufforderung, diese Anrufe zu unterlassen.
- Da wird zu unmöglichen Tageszeiten angerufen, teilweise auch abends nach 19:00 Uhr, auch an Wochenenden.
- Da werden regelmäßig Vertragsverhältnisse und Geschäftsbeziehungen unterstellt, die es nicht gibt.
Da wird gedroht, bei Ablehnung der Spielteilnahme erfolge die Weitergabe an die Rechtsabteilung. Die werde sich das Geld schon holen. - Da wird schon einmal damit gedroht, man werde „den Betrag von der Telefonrechnung einziehen“, wenn die Kontonummer nicht herausgegeben werde.
- Da wird gedroht, bei Nichtzustimmung zum „3-monatigen Probe-Abo“ werde dann eben eine zweijährige Teilnahme „eingebucht“.
- Da werden einem unbeholfenen Senioren durch aggressives Telefonmarketing reihenweise immer mehr Lotterielose angedreht, bis dass er zum Schluss innerhalb von 6 Monaten über ¤ 2000.- nur für Lotterielose der NKL/SKL zu zahlen hat.
- Da werden die Angerufenen bei Nichtzustimmung zur Spielteilnahme mit Beleidigungen und Pöbeleien miesester Art und Weise traktiert, das Gespräch wird dann abrupt beendet, nicht ohne vorher noch schnell den Hitlergruß zu entbieten.
Einzelfälle? Nein. Nur eine kleine Auswahl vieler Erlebnisse. Das alles ist trauriger Alltag des Outbound-Telefonmarketings für Lose der Klassenlotterien.
Für das alles geben die Klassenlotterien offenbar problemlos ihren Namen her, indem sie sich wissentlich mit Werbepartnern und Spielvermittlern umgeben, die unseriöse Callcenter als Subunternehmer beauftragen, wo dann dieses Marketing unter Verwendung von Methoden aus alleruntersten Schubladen stattfindet.
Die Methoden gleichen sich dabei von Unternehmen zu Unternehmen, man findet deutliche Parallelen, ja, ein gewisses gemeinsames System bei der Outbound-Akquise vor. Parallelen, die zumindest zu denken geben.
Nun mögen die Klassenlotterien die Kenntnis der systematischen Verletzung von Rechtsnormen bei der Kundenakquise mit Nichtwissen bestreiten. Schließlich seien das ja alles einzelne schwarze Schafe, außerdem seien das alles Subunternehmer der Werbepartner.
Angesichts solcher Werbepraktiken und in Anbetracht der Vielzahl der Beschwerden kann aber inzwischen eigentlich nur noch von einem systematischen Guerilla-Marketing gesprochen werden.
Für diese Marketing-Methoden, wie sie ganz offensichtlich nur aus kranken Gehirnen solcher Strategen entspringen können, denen irgendein Unrechtsempfinden völlig abzugehen scheint, geben die Klassenlotterien als Auftraggeber dieser Akquisemethoden ihren Namen mit her.
Es ist einem logisch denkenden Verbraucher, der imstande ist, zwei und zwei zusammenzuzählen, nicht mehr weiszumachen, dass die Klassenlotterien weder Kenntnis von diesen Verkaufsmethoden haben, noch, dass sie keinerlei Möglichkeiten hätten, diese Zustände abzustellen, wenn sie denn ernsthaft wollten.
NKL und SKL als staatliche Betreiber von Lotterien hätten durch entsprechende Gestaltung der Verträge mit den Werbepartnern die Möglichkeit, eigentlich sogar die Verpflichtung nach dem GlüStV, z.B. von vornherein die Kundenakquise durch Telefonmarketing bei Androhung empfindlicher Vertragsstrafen zu untersagen.
NKL und SKL machen sich durch ihre Untätigkeit und durch stillschweigende Duldung die unlauteren Werbepraktiken sowie den permanenten Bruch des GlüStV als Mitstörer zu eigen. Sie sind mittelbar an diesen Praktiken beteiligt, in jedem Fall sind sie jedoch Hauptprofiteure.
Es ist auch jedem logisch denkendem Menschen klar, dass dieses Verhalten aus einem ganz bestimmten Kalkül heraus erfolgt. Es ist bekannt, dass die Umsätze in den klassischen Lotterien seit einiger Zeit stagnieren. Daher möchte man ungern auf die eigentlich verbotene Telefonwerbung verzichten, damit die Umsätze nicht noch weiter wegbrechen.
Obwohl es nicht die Aufgabe des Antispam e.V. ist, den Klassenlotterien strategische Ratschläge zu erteilen, möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass wir dieses Kalkül für nicht ganz ungefährlich halten. Es dürfte bekannt sein, dass das staatliche Glücksspielmonopol auf einem äußerst dünnen, wackeligen rechtlichen Fundament steht, und dass es einflussreiche Gegner gibt, die nur auf eine Gelegenheit warten, dieses Monopol europarechtlich zu kippen.
Wenn es ruchbar wird, dass die staatlichen Lotterien sowie die Aufsichtsbehörden nicht für die Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags Sorge tragen, könnte den Gegnern des Monopols ein gewichtiges Argument frei Haus geliefert werden. Schließlich erfolgte der Abschluss des GlüStV vor allem unter dem Gesichtspunkt der Suchtprävention. Die strengen Werbeverbote waren eine Auflage dafür, dieses Monopol überhaupt noch eben rechtlich halten zu können. Wenn nun aber die staatlichen Stellen sowie die Klassenlotterien selbst diese Bestimmungen nicht umsetzen, dann entfällt unserer Ansicht nach jedwede Berechtigung für das Glücksspielmonopol. Dass nicht nur wir dieser Ansicht sind, zeigt auch ein Urteil des VG Freiburg (vom 16.4.2008, 1 K 2683/07, 1 K 2063/06, 1 K 2066/06, 1 K 2052/06, noch nicht rechtskräftig) was wohl als ein erster Warnschuss bezeichnet werden kann.
In jedem Fall muss konstatiert werden, dass der GlüStV nicht etwa dazu geführt hat, dass nunmehr die Telefonwerbung für Lotterien etwa unterlassen würde.
Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein: die Anzahl dieser Anrufe scheint eher noch zuzunehmen.
Auch wird der Ton deutlich ruppiger, die Methoden immer unerträglicher.
Was haben die Klassenlotterien dazu zu sagen?
Gern und oft erfolgt seitens der Klassenlotterien der gutgemeinte Ratschlag, man könne sich durch einen Eintrag in die Robinsonliste vor den Werbeanrufen schützen.
Allerdings gibt es Belege dafür, dass etliche Werbepartner der Klassenlotterien bzw. deren Subunternehmen keinesfalls daran denken, irgendwelche Robinson- oder sonstige Listen zu beachten. Auch diejenigen, die sich in die Robinsonliste eingetragen haben, werden angerufen.
Außerdem wird diese Empfehlung vielfach als regelrecht absurd empfunden. Zum einen handelt es sich bei den Werbeanrufen ohnehin gleich in mehrfacher Hinsicht um Verstöße gegen geltendes Recht (GlüStV, UWG). Man empfindet diesen Ratschlag daher oft als vergleichbar mit dem Eintrag in eine bundesweite Liste, mit der man sich angeblich vor Wohnungseinbrüchen „schützen“ könne. Schon von einem logischen Rechtsverständnis ausgehend gedacht, ist eine solche Empfehlung, sich durch ein aktives „opt-out“ vor strafbaren Handlungen schützen zu sollen, befremdlich.
Ein Unbehagen angesichts der Tatsache, dass man Unternehmen, denen man ohnehin schon nicht einen Zentimeter über den Weg traut, seine persönlichen Daten ausliefern würde, spielt ebenfalls mit.
Daher kann der Antispam e.V. diese Empfehlung der Klassenlotterien nicht guten Gewissens weitergeben.
Vielmehr ist es inzwischen schon soweit gekommen, dass der Antispam e.V. die Durchführung technischer Maßnahmen an den Telefonanschlüssen empfehlen muss, um dem täglichen Terror ein Ende zu bereiten.
Wir müssen inzwischen so weit gehen und betroffenen Opfern, die täglich mehrfach von Callcentern angerufen werden, die zeitweise Führung einer Fangschaltung nahelegen. Eine Einrichtung, die eigentlich zum Schutz vor kriminellen Übergriffen entwickelt wurde.
Ebenfalls empfehlen wir offen die Beschaffung von Telefonanlagen, mit denen das Blocken von Anrufen mit unterdrückter Rufnummer möglich ist.
Jedenfalls fällt uns derzeit nichts anderes ein, was wir einer Krankenschwester ernsthaft raten könnten, die nach einem Nachtdienst auf ihrer Intensivstation nicht gern schon eine halbe Stunde nach dem Einschlafen um 08:00 Uhr vom ersten Callcenteranruf aus dem Bett geklingelt werden möchte. Wenn sie die Ausgabe für die Telefonanlage scheut, kann sie eigentlich ansonsten nur noch den Telefonstecker aus der TAE-Dose ziehen.
Jedenfalls glauben wir nicht wirklich, dass ihr die Robinsonliste helfen würde.
Die schiere Anzahl der verzweifelten Anfragen in unserem Forum, was man denn gegen diesen Telefonterror unternehmen könnte, spricht für sich. Auch andere Internetforen sind voll von derartigen Berichten.
Manche unserer auf ehrenamtlicher Basis arbeitenden Vereinsmitglieder stellen bereits erste Fragen, wie der Antispam e.V. dazu kommt, eine kostenlose Beratungstätigkeit für die Opfer dieser Werbe-Machenschaften zu übernehmen.
Der Ärger in der Bevölkerung, der durch diesen Telefonterror verursacht wird, ist immens.
Die deutschen Klassenlotterien haben die Macht und den Einfluss, diese Zustände endlich abzustellen.
Sie wären gut beraten, dies bald zu tun.
Daher würden wir uns über eine Beantwortung folgender Fragen freuen:
Welche Maßnahmen gedenken die Klassenlotterien NKL und SKL einzuleiten, um den § 5 GlüStV ernsthaft umzusetzen?
Welche Maßnahmen ergreifen die Klassenlotterien NKL und SKL, um gegen Werbepartner und Spielvermittler, die systematisch gegen geltendes Recht verstoßen, vorzugehen?
Liegt die massive Rufschädigung, die durch unseriös arbeitende Werbepartner den Klassenlotterien zugefügt wird, im Interesse der Klassenlotterien?
Ist man bereit, unter Beibehaltung des Ist-Zustandes das staatliche Monopol für die Veranstaltung von Lotterien zu riskieren?
Über eine schlüssige Beantwortung dieser Fragen würde sich der Antispam e.V. freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Antispam e.V.
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