Hallo,
in den letzten Jahren begann ein Prozess, der allgemein als "Cocooning" bezeichnet wird. Die offene, lockere, aktive und positive Lebenseinstellung der 80er wandelt sich zunehmend in eine verschlossene, pessimistische Lebenshaltung, in der man sich immer mehr von der Außenwelt abkapselt - ähnlich in der Zeit des Biedermeier, in der man sich nur noch auf das häusliche Umfeld konzentrierte. Wogegen in den 80ern es durchaus üblich war, das noch sehr viele Gegenstände von Vertretern verkauft wurden - was ja vor allem in ländlichen Gegenden, in denen es für vieles kein Fachgeschäft gab geschätzt wurde hat das sehr stark nachgelassen. Statt dessen begann man in den 90ern verstärkt den Weg des Dialogmarketings zu wählen, was den Vorteil hat, daß kein Vertreter vor der Tür steht, den man erst einmal abwimmeln muß, sondern die Möglichkeit erhält auf einen Werbebrief zu reagieren - oder ihn bei Desinteresse einfach wegwirft. Das ist sogar umweltfreundlicher als einen Mitarbeiter mit dem Auto die Ortschaften in der Umgebung abklappern zu lassen, und nur noch die Leute besuchen, die Interesse haben und z. B. eine Antwortkarte zurückschicken. Bei der Emailwerbung ist es sogar noch praktischer, da ja kein Papier mehr bedruckt und verschickt werden muß.
Ich selbst lebe davon, daß ich regelmäßig Briefwerbung verschicke. Leider verlangt der Betreiber der Robinsonliste horrende Geldbeträge, um die Adressbestände um die Leute bereinigen zu können, die keine Briefwerbung erhalten möchten, also ist dieser Weg nicht akzeptabel. Auf ca. 100 Werbebriefe erhalte ich 8 bis 10 Antworten mit positiven Intersse - und lediglich einer von 5000 angeschriebenen schickt das Schreiben zurück und möchte keine Werbung mehr bekommen. Diese lösche ich dann auch sofort aus der Sammlung. Inzwischen habe ich seit meiner Firmengründung einen Kunden und Interessentenstamm aufgebaut, so daß ich begonnen habe all diejenigen, für die mein Angebot nicht relevant ist zu streichen, z. B. durch Altersklassierung mittels Vornamenanalyse oder aufgrund der durch die Antwortkarten erhobenen Angaben. Somit schreibe ich automatisch im Laufe der Zeit immer weniger Leute an, für die mein Angebot uninteressant ist. Das senkt ja auch die Portokosten und erhöht die Antwortquote. Wenn der Kundenstamm groß genug ist, daß ich davon alleine leben kann, werden nur noch die Kunden sowie Interessenten angeschrieben.
Alles in allem muß ich sagen, daß ich ohne Werbebriefaktionen nicht soweit wäre wie heute - und davon hängen in meiner Firma insgesamt 5 Arbeitsplätze (2 Vollzeit und 3 Teilzeit) sowie einige Schülerjobs ab. Solange soviel damit verdient wird, daß die Leute davon bezahlt werden können werde ich alles tun, um diese Arbeitsplätze zu erhalten.
Leider gibt es auch genug Leute, die nicht nur auf eine ehrliche und aufrichtige Art ihre Dienste oder Produkte per Briefwerbung, Wurfsendungen oder Email anbieten - sondern auch solche, die in betrügerischer Absicht sogenannte "Offert-Rechnungen" versenden (also als Rechnung getarnte Offerten und Angebote) oder Emails für irgendwelche Sexseiten und Dialer verschicken. Und ich denke, daß man dazwischen differenzieren muß und nicht alles über einen Kamm scheren darf.
Schließlich muß man bedenken, daß kleine und mittelständische Firmen sich keine teure Fernseh- oder Radiowerbung oder Anzeigen in Zeitschriften leisten können. Ich habe mit 50 Briefen in der Woche begonnen, die ich am Anfang einzeln nachtelefoniert habe. Inzwischen versende ich pro Woche ca. 1000 bis 2000 Briefe, die zum Teil von Telefonistinnen nachgearbeitet werden. Fernsehwerbung ist weiterhin unerschwinglich - und auch nicht beabsichtigt, da ich nur dort Kunden besuchen möchte, wo ich wegen der Spritkosten nicht weit mit dem Auto hinfahren muß - oder am besten die Interessenten zu mir ins Büro kommen lasse.
Gerade in der heutigen Zeit, wo das Wirtschaftsleben von Arbeitslosigkeit und Rezession geprägt ist muß man verstärkt werben, um sein Kundenpotential zu erweitern. Wenn ich meine "Werbeabteilung" schließen würde, dann müßten die Steuerzahler für 2 zusätzliche Arbeislose und 3 weitere Sozialhilfeempfänger aufkommen - würden alle Firmen ihre Werbeabteilungen schließen, gäbe es in Deutschland einige zehntausend Arbeitslose mehr - und mindestens nochmal so viele in der Fertigung und Verwaltung, da ja ohne die Werbung weniger Produkte verkauft werden. Durch das damit sinkende Steueraufkommen müßten früher oder später auch einige Beamten dran glauben - oder weitere Kürzungen hinnehmen müssen.
Fazit: Ich unterstütze es auf jeden Fall unseriöse Werbung zu bekämpfen, andereseits sollte man jedoch Werbung nicht prinzipiell verteufeln. Einiges habe ich selbst nur durch Werbebriefe erfahren - z. B. das Angebot über den PC mit dem ich gerade diese Email schreibe. Ohne den Werbebrief hätte ich nie einen so günstigen PC bekommen - und ohne Dialogmarketing wäre aus diesem PC-Hersteller nicht einer der größten der Welt geworden - von dem heute manch einer, von der Putzfrau bis hin zum Ingenieur und Manager sein Einkommen bezieht. Selbst Käufer von Luxuslimousinen, Industriemaschinen usw. werden zu einem großen Teil per Brief- und Emailwerbung gewonnen, von deren Verkauf eine Vielzahl an KFZ-Mechanikern, Monteuren, Konstrukteuren und Ingenieuren leben.
Viele Grüße
Mika
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